Diese Revision sind wir mal vom gewohnten Kurs abgewichen und haben keine Wochenrückschau, sondern eine Schwerpunkt-Folge für Euch erstellt. Möglich gemacht hat das Daniel Melanchthon, Developer Platform Evangelist bei Microsoft und Fachmann unter anderem für den IE9. Vielen Dank an Daniel, der sich trotz Rückreise-Jetlag kurzfristig abends Zeit für uns genommen hat!
Zielrichtung unseres Gesprächs waren die Fragen: Wie denkt Microsoft in Sachen Browser so? Warum ist der IE9 so geworden wie er ist? Wie ist der weitere Entwicklungsweg geplant? Was wünscht man sich von der Webentwicklergemeinde?
Schaunotizen
- Was zeichnet IE9 aus?
- Wir sprechen über Geschwindigkeit durch Hardwarebeschleunigung (via Direct2D) und die neue JavaScript-Engine „Chakra“, über das verbesserte Schriftenrendering (via DirectWrite), Pinned Site und Site-Mode (wir erinnern uns dabei an die Webslices des IE8), SmartScreen-Filter/Application Reputation, die (vom W3C aufgegriffene) Tracking Protection, die viel Platz lassende Tabanordnung, die Non-Blocking UI, sowie Ähnlichkeiten in dem GUI-Konzept von Firefox 5.
- Warum werden manche neue Features unterstützt, warum manche nicht?
- Wir erfahren, dass es unter anderem am offiziellen Reifegrad eines Standards/Moduls liegt, ob entschieden wurde, es zu implementieren oder auch nicht. So hat Geolocation etwa den Status „Candidate Recommendation“, die meisten der von vielen monierten fehlenden Features jedoch noch „Working Draft“ Status (nur „CSS3 Border Image“ neuerdings nicht mehr). Oder es handelt sich erst gar nicht um einen W3C-Standard, wie bei WebGL. Desweiteren unterliegt Microsoft als Unternehmen weiteren Einflüssen aus dem Corporate-Bereich, welche gerne nach finalen und soliden Standards rufen. Daniel schafft dabei auch nochmal Klarheit hinsichtlich des Entwicklungsablaufs neuer W3C-Spezifikationen und wann die Browserhersteller Hilfestellung durch Implementation geben können. Zu guter letzt ist es auch eine Frage interner Ressourcen und des Shippingtermins.
- Was denkt Microsoft hinsichtlich der Videocodec-Problematik?
- Wir reden darüber dass die Situation unbefriedigend ist, dass Microsoft sich aber nicht in der Position sieht, hier mit einer Lösung für die Webentwickler nach vorne zu preschen. Was vor allem daran liegt, dass man keine Lust auf das rechtliche Minenfeld und die gerne gegen Microsoft geführten Klagen hat. Wir erfahren, dass der Patentpool der MPEG LA auch einer möglichen Selbstverteidigung gegen Patenttrolle dient. Und dass Google mit WebM bei weitem nicht auf einem solchen Patent-Bollwerk sitzt.
- Wird es kürzere Releasezyklen geben? Was kann man tun, um die alten IEs schneller zu verdrängen?
- Der Abstand zwischen Releases soll wenn möglich weiter schrumpfen. Die Situation in Sachen alter IEs hat sich mittlerweile stark verbessert und anscheinend sind Unternehmen insgesamt updatefreundlicher, wenn sie einmal den Schmerzhaften Schritt weg vom IE6 geschafft haben. Microsoft drückt die Unternehmen zu diesem Schritt wie es nur kann. Webentwickler sollen auch aus Microsofts Sicht nicht mehr viel Zeit auf die alten IEs verschwenden. „Graceful Degradation“/“Progressive Enhancement“ lautet hier die empfohlene Devise. Da fällt uns Pirates love Daisies als Beispiel ein.
- Warum wird das Entwickeln für die vielen IE-Versionen nicht erleichtert?
- Wir reden darüber, warum Microsoft wohl die Sandboxed-Browser von Spoon.net verhindert. Wir kritisieren die kostenlos erhältlichen Test-Images, weil sie ohne ReArm recht bald das Meckern anfangen. Außerdem laufen sie nicht auf was anderem als Virtual PC. SuperPreview wiederum ist leider nicht interaktiv.
- Mehr Wissenvermittlung in deutschen Landen?
- Microsoft plant mehr Wissensvermittlung, Unterstützung und Vorträge im deutschen Raum. Wie das im Detail aussieht, ist noch nicht spruchreif.
- Engagement im W3C
- Wir erfahren, dass Microsoft dem W3C nicht nur neue Testsuiten spendiert, sondern dem W3C aus den eigenen Reihen 70 Mitarbeiter abgestellt hat. Zudem reicht man auch auch neue Standardisierungvorschläge ein, wie etwa die Tracking Protection oder die Web Timing Specification.
Nachtrag vom 03.03.2010: Daniel Melanchthon zum selben Thema bei der t3n im Videointerview (mit ein paar mehr Infos zu der JavaScript-Engine als bei uns).
Kommentare
Gerhard Großmann #
Geschrieben am 3.03.2011 um 10:31
1’12″00, eine interessante These: Open-Source macht den Markt kaputt. Klingt überzeugend – ist meiner Meinung nach aber etwas kurz gedacht.
Ich will das mal weiterspinnen: In dieser Behauptung steckt nämlich auch die Aussage, dass Open-Source so gut ist, dass es mit proprietären Produkten durchaus konkurrieren kann. Und das heißt wiederum, dass Open-Source die proprietären Anbieter zwingt, ihre Produkte weiterzuentwickeln – ohne die Zeit zu haben, sich auf den vermeintlichen Lorbeeren ausruhen zu können. Somit entstehen durch Open-Source Neuentwicklungen und auch proprietäre Produkte verbessern sich. Und sorgt nicht gerade das dafür, dass der Markt belebt wird?
Nur ein (e/w)inziger Aspekt aus dem langen und sehr informativen Interview. Vielen Dank für den schönen Podcast!
Schepp #
Geschrieben am 3.03.2011 um 13:16
Hallo Gerhard,
an Deiner Argumentation ist eigentlich nicht zu rütteln. Insofern geb ich Dir vollkommen Recht. Danke für das Einbringen dieser anderen Sichtweise, und danke für das nette Kompliment :)
Daniel Melanchthon [MSFT] #
Geschrieben am 3.03.2011 um 21:03
Hallo Gerhard,
Du verkürzt meine Aussage auf „Open-Source macht den Markt kaputt.“ Das habe ich so aber nicht gesagt. Ich bezog mich auf Open-Source-Produkte, die mit kommerziellen konkurrieren *und* bei denen die kommerziellen Produkte Lizenzgebühren zahlen. Nimm zum Beispiel die DVD-Wiedergabe. Dafür braucht ein DVD-Player eine entsprechende Lizenz. Gegenüber einem Open-Source-Produkt, welches z.B. libdvdcss nutzt, ist es durchaus im Nachteil, da es ja die Kosten für die Lizenz wieder reinholen muss.
Klar gibt es Open-Source Produkte, die so gut sind, dass sie mit proprietären Produkten durchaus konkurrieren können. Der Apache Webserver ist da ein prominentes Beispiel. Ich denke aber nicht, dass nur Open-Source kommerzielle Anbieter dazu zwingt, ihre Produkte weiterzuentwickeln. Vor allem, weil ich bei vielen Open-Source-Produkten selbst eine echte Weiterentwicklung vermisse. Immer wieder sieht man da Me too oder eine Best of-Sammlung von Ideen aus anderen Produkten.
Viele Grüße,
Daniel
Gerhard Großmann #
Geschrieben am 4.03.2011 um 08:36
Das stimmt, Daniel,
ich habe deine Aussage verkürzt. Allerdings war diese These das, was am Ende (zumindest bei mir) hängengeblieben ist. Das wollte ich so nicht stehen lassen.
Ich kann bei deinem Beispiel nicht so richtig einschätzen, wie stark sich die DVD-Wiedergabe am Rechner in Open-Source-Playern tatsächlich auf den Verkauf von lizenzierten DVD-Playern auswirkt. Verschwindend gering? Massiv? Da fehlen mir genauere Kenntnisse. Zumindest für mich ist es nur eine Notlösung, eine DVD am Computer abzuspielen. Die lege ich doch lieber in das extra Gerät, mithilfe dessen ich den Film dann blickwinkelunabhängig, mit 42″ Diagonale und in 5.1-Dolby-Digital genießen kann.
Was wäre denn die Alternative? Keine DVD-Wiedergabe auf alternativen Betriebssystemen? Auch kein mp3? Kein wmv? Oder gar keine alternativen Betriebssysteme, weil keines sich Lizenzgebühren für attraktive Software leisten kann?
Natürlich zwingt nicht nur Open-Source die kommerziellen Anbieter Software zu Weiterentwicklungen. Da sind schließlich noch die anderen kommerziellen Anbieter. Open-Source hat aber die Möglichkeit, (Quasi-)Monopole aufzubrechen und einen Marktbereich zu segmentieren, den ein einziger Anbieter so stark beherrscht, dass es für einen andereren kommerziellen Anbieter unmöglich ist, hier eindringen (hohe Investitionen, geringe Marktmacht). Ich werfe hier als Beispiel mal den Internetexplorer in den Raum, bevor der Open-Source-Browser Firefox entstand. Das Ergebnis dieser neuen Konkurrenzsituation sind ein sehr ausgereifter IE9 und ein kruder, bald endgültig aussterbender IE6.
Bei den Mee-Too-Produkten gebe ich dir recht. Es ist wirklich fies, wenn ein langwierig ausgearbeitetes Konzept einfach von einem Konkurrenten übernommen wird. Das ist aber unabhängig von Open-Source oder proprietären Programmen. Möglich, dass viele Open-Source-Projekte sich selbst nicht weiterentwickeln und nur kopieren; sind das dann aber auch diejenigen, die Erfolg haben? Kopieren ist nicht immer nur kopieren, sondern (manchmal?) auch weiterentwickeln.
Vielen Dank für die offene Diskussion, Gerhard
PS: Vielleicht zwingt libdvdcss die Anbieter von DVDs, einen besseren Kopierschutz als CSS zu entwickeln? Vielleicht sorgt es auch für die Erkenntnis, dass Digital Rights Management die ehrlichen Verbraucher ärgert und die unehrlichen einfach nur mehr oder weniger herausfordert?
Daniel Melanchthon [MSFT] #
Geschrieben am 7.03.2011 um 11:19
Hallo Gerhard,
die Alternative wäre eine lizenzierte DVD-Wiedergabe auch auf alternativen Betriebssystemen. Dell hat dafür zum Beispiel LinDVD mit Ubuntu gebundelt als Betriebsystem angeboten: http://www.markshuttleworth.com/archives/133. Oder Du kaufst Dir bei Fluendo (http://www.fluendo.com/) ein lizenziertes Codec-Packet. Schau Dir zum Beispiel mal das Thema DVD-Wiedergabe bei Ubuntu (http://wiki.ubuntuusers.de/Codecs#DVD-Wiedergabe) oder OpenSUSE (http://www.linupedia.org/opensuse/Suse_multimediaf%C3%A4hig_machen_und_das_Problem_der_DVD) an. Es ist doch schon ein wenig schizophren, wie die Distributionen bei der Auslieferung rechtlich einwandfrei gemacht werden und dem Benutzer dann die Anleitung zur Hand gegeben wird, wie er möglichst komfortabel die rechtlich nicht sauberen Komponenten zum Abspielen einbindet. Nicht zu vergessen, dass Codec-Packs wie z.B. w32/w64codecs Codecs beinhalten, die ohne die Rechte daran zu besitzen oder diese lizenziert zu haben kostenfrei weiterverteilt werden. So in diesem Beispiel Cinepak, DivX, Indeo Video, Intel 263, Microsoft MPEG-4, Morgan Multimedia Motion JPEG, QuickTime, RealAudio, RealVideo 8 und 9, Windows Media Video 9…
Viele Grüße,
Daniel
Gerhard Großmann #
Geschrieben am 7.03.2011 um 13:50
Vielen Dank, Daniel,
für die nützlichen Links. Sie fassen die Problematik mit den Abspiellizenzen unter Open-Source-Betriebssystemen sehr gut zusammen. Und sie zeigen eine Lösung, wie man sich legal die entsprechenden Codecs kaufen kann.
Das Grundproblem liegt meiner Meinung nach darin, dass die Rechtssprechung hier stark vomm gesunden Menschenverstand abweicht. Beispiel: Der Zweck eines Apfels ist, gegessen zu werden. Ich kaufe mir einen Apfel, dann darf ich ihn essen.
Der Zweck eines Buchs ist, gelesen zu werden. Ich kaufe mir ein Buch, dann darf ich es lesen. (Ich darf es aber nicht nachdrucken und veröffentlichen.)
Der Zweck einer DVD ist, angesehen zu werden. Ich kaufe mir eine DVD – aber ansehen darf ich sie mir deshalb noch lange nicht*. Dazu brauche ich erst noch eine Abspiellizenz. Warum erwerbe ich mit dem Kauf einer DVD nicht automatisch das Recht, sie ansehen zu dürfen?
Das entfernt sich jetzt aber weit vom ursprünglichen Thema (IE9) und ich denke, man kann über digitale Rechteverwaltung und Lizenzen sehr lange diskutieren. Vielleicht wird daraus ja mal ein eigener Working Draft? Dir, Daniel, jedenfalls herzlichen Dank für den interessanten »Schlagabtausch«,
Gerhard
___
* Ein Mobile dürfte ich aus der gekauften DVD allerdings schon basteln ;-)
Tobias #
Geschrieben am 3.03.2011 um 16:07
Sehr schöner Podcast, danke Markus & Christian.
Dank geht auch an Daniel für die interessanten Informationen.
Das mit dem XP Modus habe ich leider nicht verstanden
Markus Schlegel #
Geschrieben am 3.03.2011 um 16:16
IE6 und IE7 laufen nicht unter Win7, IE8 und IE9 nicht unter XP. Dieses Dilemma kann man umgehen, indem man sich ein Win7 shoppt und dort den XP-Mode benutzt.
snorpey #
Geschrieben am 4.03.2011 um 20:49
Schöner Podcast! Sind ähnliche Spezialfolgen auch zu Produkten anderer Hersteller geplant?
Peter #
Geschrieben am 4.03.2011 um 21:00
Eine Spezialsendung zum Firefox 4 ist geplant.
Ole #
Geschrieben am 6.03.2011 um 22:36
na dann hoffe ich aber auch fuer den Chrome :)
Schepp #
Geschrieben am 7.03.2011 um 07:40
Chrome ist da insofern schwieriger, als dass es beim ihm nicht so richtige Meilensteine gibt, an denen man eine Sendung festmachen könnte. Und wir haben auch noch niemanden auf dem Radar, der bei Google arbeitet und der die Innereien von Chrome kennt. Aber das heisst ja nicht, dass wir nicht irgendwann wen finden könnten. Stay tuned.
Alex W #
Geschrieben am 10.03.2011 um 15:04
Wenn es ein paar weniger „öhm“ und schöneren Sprachfluss geben würde, dann wäre es noch besser.
Schepp #
Geschrieben am 10.03.2011 um 16:21
Machen wir nicht mit Absicht, stehen wir auch nicht so drauf. Hier in speziell dieser Folge hatten wir stark mit einem Audio-Versatz zu kämpfen, weil wir von Skype aus ins Festnetz angerufen haben. Das war etwas anstrengend und hatte so Ferntelefonatscharakter.
Sascha #
Geschrieben am 10.03.2011 um 17:06
Muss an der Stelle einmal anbringen, wie überragend ich Eure Podcasts finde. Gerade dieses Special zum IE9 ist regelrecht vollgepackt mit Infos, die man in dieser Dichte wohl kaum sonstwo findet, vor allem, wenn man bedenkt, dass Ihr all das kostenlos anbietet. Da jucken ein Paar „öhm“s nicht die Bohne…
Zum Thema: Vielen Dank auch an Daniel, der MS hier nicht nur in überzeugend fachkompetenter, sondern auch in ausgesprochen sympathischer Manier vertreten hat. Ich denke, dass MS mit dem IE9, trotz aller (teils berechtigter) Unkenrufe und den bleibenden Unzulänglichkeiten (u.a. im Bereich von CSS3) auf einem guten Weg ist und dies auch Anerkennung verdient.
Frohes Schaffen und weiter so!
Schepp #
Geschrieben am 11.03.2011 um 11:47
Dank Dir, Sascha! Genauso wie Kritisches, ist Lob total wichtig um zu sehen, wo man denn so steht. Wir geben uns weiter Mühe! Gruß!
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